Kurz gesagt: Nein, das gilt für alle harmonisierten Normen. Zentrale Rolle hat hier die Verordnung (EG) 1049/2001 "über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission".
In Artikel 4 dieser Verordnung wird beschrieben, dass Organe (hier war es eben die Europäische Kommission) unter bestimmten Bedingungen den Zugang zu Dokumenten verweigern könnnen. Zitat:
Der fett gedruckte Teil wurde vom EGH als vorhanden angesehen.
Ich würde hierzu einen sehr viel ausführlichen Post machen, will aber nicht einen halben Tag rein stecken (mindestens) und dann liests sowieso keiner. Vielleicht kommt im Laufe der nächsten Woche was auf SocialMedia.
Jedenfalls stellen sich unabhängig von der Meinung zur Kostengestaltung für den Zugang zu harmonisierten Normen nun folgende Probleme dar:
- Der Urteilstext hat teils fundamentale Fehler in der Begründung, die grundlegende Sachen vermissen zu scheinen. Absatz 65 (Urteilstext verlinke ich):
Das ist - mit Verlaub gesagt - hanebüchener Schwachsinn. Die Anfechtung kann durch eine Marktüberwachungsbehörde vorgenommen werden, nicht aber durch Privatpersonen oder Unternehmen in dem Sinne. Nun bin ich kein Jurist, aber man kann hier gerne auch auf deutschsprachige Anwälte in dem Bereich verweisen: Klindt, Geiß, Doll, Becker, Anzinger, Wank.
- Bei der Vermutungswirkung wird sich zeigen, ob Normen denn immer noch freiwillig sein können. Nein, die sind kein Gesetz. Ist auch nicht besonders clever, wenn das so wäre. Warum? Weil die Normung der technischen Entwicklung immer einige Jahre hinterher hinkt. Was hier durchaus passieren könnte, ist das Technologien, die von harmonisierten Normen erfasst werden, dass aber mit neuartiger Technologie versuchen zu lösen (die die harmonisierte Norm dann im Zweifel einfach nicht kennt), faktisch nicht mehr in der EU gebaut werden können.
- Der Elefant im Raum ist natürlich die Finanzierung.
- Was meint ihr denn, was etwa in der kommenden Überarbeitung der IEC 60204-1 für ein Schwachsinn drin stehen würde, wenn nicht ein deutscher Vorsitz gegen Italien und Frankreich dagegen arbeiten würde (ich bin ja nicht mal drin aktuell, da drehen sich mir aber auch so schon alle Magenwindungen um)?
- Das Urteil gilt nur für harmonisierte Normen - bei weitem nicht für alle. Besteht also nun ein monetärer Anreiz, Normen bewusst so zu schreiben, dass sie nicht harmonisiert werden können? Gewisse Chairs von ISO TCs haben das öffentlich bereits so in den Raum geworfen bzw. vorgeschlagen (verlinke ich jetzt nicht).
- Wir haben mit ISO die sogenannte "Wiener Vereinbarung" bzw. mit IEC die "Frankfurter Vereinbarung". Diese beschleunigen die Erarbeitung entsprechender Normen erheblich. Was wird ISO wohl tun, wenn man ihnen nun die eigenen Umsätze kannibalisiert? Wird man sehen. Kann gut sein, dass wir in Europa dann eigene Normen haben werden - die auch nicht auf die internationalen aufbauen dürfen.
- Sollte es Probleme mit der Erstellung harmonisierter Normen geben, die Kommission aber der Meinung sein, etwas zu brauchen, was passiert dann wohl mit der Maschinenverordnung? Die Kommission wird dann einfach "im Vorbeigehen" eigene Regeln erlassen (wer auch immer die schreiben soll). Beim Sachverstand, den man da bei anderen Sachen an den Tag legt, schwant mir nichts Gutes.
Ob das am Ende wirklich gut für die Anwender ist, wird man sehen. Ich habe da noch so meine Zweifel.
Aber: Man muss auch sagen, dass die Kommission da einfach dumm agiert hat die letzten Jahre mit verschiedenen Änderungen (z.B. auch damit, die Normen im Teil L des Amtsblatts zu veröffentlichen). Insofern, ein gutes Stück weit selbst schuld.
PS: Die Situation hier mit ETSI zu vergleichen ist ein typischer "Äpfel mit Birnen"-Vergleich. Merkt man aber, wenn man sich die Finanzierung und die dahinter stehenden Sponsoren anschaut (die scheren bei ETSI ein paar hundert Millionen nicht).
Falls jemand Langeweile hat,
hier der Urteilstext